Der ministeriell vorgesehene Personalschlüssel für Lebensälterenabteilungen weicht vom tatsächlichen Bedarf gravierend ab

Alterskriminalität expandiert in unserer alternden Gesellschaft und gewinnt für Polizei und Justiz zwangsläufig an Bedeutung. Selbst der Vollzug, der sich seit Jahren mit dieser Thematik befasst, wird sich dieser Herausforderung verstärkt stellen müssen.

Die Lebenserwartung der Menschen steigt, sie bleiben länger gesund und mobil, was Auswirkungen auf individuelle Bedürfnisse, Ansprüche und Wünsche hat. Und dann gibt es Menschen, die bereit sind, sich diese Wünsche auch mit illegalen Mitteln zu erfüllen.

Die Zahl der Tatverdächtigen über 60 Lebensjahre war im Jahre 2004 mit ca. 6,4 % noch recht gering. Seither ist die Zahl der Tatverdächtigen jenseits des 60. Lebensjahres bundesweit um acht Prozent angestiegen und hat im Jahr 2012 mit über 153.000 Tatverdächtigen einen ersten Höchststand erreicht. Die Entwicklung kennt seit Jahren nur eine Richtung: steil nach oben! Seit sich diese Tendenz verstetig, sind Richter und Gerichte spürbar weniger geneigt, bei der Strafzumessung zurückhaltend zu sein. Zwar bedeutet eine Inhaftierung für einen Lebensälteren eine besondere Härte, trotzdem wird seitens der Gerichte oft zum Mittel der Freiheitsstrafe gegriffen. Geld- und Bewährungsstrafen werden hingegen verhältnismäßig weniger verhängt.

Der Vollzug schafft altersgerechte Spezialabteilungen

Die Lebenserwartung steigt. Ein im Jahre 2015 geborener Junge hatte eine durchschnittliche Lebenserwartung von 77 Jahren und 9 Monaten. Der demografische Wandel sorgt dafür, dass der Anteil der Lebensälteren wächst. Im Jahr 2015 waren bereits 19.619.121 Menschen über 62 Jahre alt waren. Sie zählten damit zu jenem Personenkreis, aus dem sich die Altersdelinquenz speist.

Der Vollzug hat auf dieses Phänomen reagiert und in vielen Einrichtungen spezielle Abteilungen für lebensältere Straftäter geschaffen. Weil die Überalterung der Gesellschaft fortschreitet, wird dieser Bedarf künftig eher steigen. Dies ist auch an den langen Wartelisten der Vollzugseinrichtungen für eine Unterbringung auf einer dieser speziellen Abteilungen ablesbar.

Bei den Lebensälterenabteilungen handelt es sich quasi um eine „Graswurzelbewegung“, die wegen des vorhandenen Bedarfs vor Ort entstanden ist. Zwischenzeitlich sind bundesweit und auch in NRW etliche Einrichtungen diesem Beispiel gefolgt und haben Abteilungen geschaffen, die konzeptionell auf die Betreuung und Resozialisierung lebensälterer Gefangener ausgerichtet sind. In diesen speziellen Einrichtungen werden Angebote vorgehalten und Rahmenbedingungen geschaffen, der zunehmenden Gebrechlichkeit der Inhaftierten entgegenzuwirken, deren Mobilität zu stärken und ihren Anschluss an die Lebenswirklichkeit außerhalb des Vollzuges sicherzustellen. Zudem wird auf ein ruhigeres und gemütlicheres Ambiente wertgelegt und die Gefangenen haben längere Aufschlusszeiten, damit sie nicht in die zunehmende Isolation fallen. Die Lebensälterenabteilungen der Vollzugsanstalten sollen Gefangene unterbringen und behandeln, die das 62. Lebensjahr überschritten haben. Auf diesen Abteilungen soll das Vollzugsziel, also die Befähigung des Einzelnen zur erneuten vollumfänglichen gesellschaftlichen Teilhabe und einer straffreien Lebensführung in sozialer Verantwortlichkeit, umgesetzt und erreicht werden.

Der Personalbedarf wird noch nicht richtig gewürdigt

Ohne inhaltlich nachvollziehbare Gründe wird die psychologische Betreuung auf diesen Abteilungen, dem Personalschlüssel des Erwachsenenvollzuges gleichgesetzt. Dabei birgt gerade die Betreuung von lebensälteren Gefangenen besondere Herausforderungen und kann mit den ministeriell zugestandenen Personalressourcen kaum bewältigt werden. Die Verantwortlichen verschließen an dieser Stelle die Augen vor dem tatsächlichen Bedarf. Es erweist sich einmal mehr als fatal, den Bedarf auf einer überwiegend theoretischen Grundlage zu ermitteln.

Lebensältere Gefangene haben einen deutlich gesteigerten Betreuungsbedarf. In vielen Urteilen findet sich der Hinweis, dass dem Alter des Delinquenten Rechnung getragen werden müsse und dass die Haft für ihn eine besondere Härte bedeute. Was bedeutet dies für die konkrete Gestaltung des Vollzuges?

Alterseinschränkungen verlangen nach Unterstützung und Zuwendung

Der normale, altersbedingte körperliche Verschleiß hinterlässt Spuren. Der Mensch beginnt bereits mit dreißig Jahren zunehmend an Widerstands- und Leistungsfähigkeit nachzulassen. Das Gehirn unterliegt einem alterskorrelierten Abbauprozess, manche Areale schneller, andere langsamer. Reize werden durch die Nervenbahnen zunehmend langsamer weitergeleitet und der metabolische Grundumsatz sinkt deutlich ab. Nicht nur das Gehirn zollt der Zeit seinen Tribut. Die Muskelmasse eines 80-Jährigen ist beispielsweise um etwa die Hälfte reduziert. Das Alter hinterlässt seine Spuren und sorgt für immer mehr psychische und physische Einbußen. Die Einschränkungen kumulieren und der Weg alles Irdischen führt ggfls. über die vorübergehende Pflegebedürftigkeit unausweichlich bis hin zum Tod.

Das Alter macht sich in vielen Bereichen bemerkbar. Regelmäßig finden sich auf den Lebensälterenabteilungen der Vollzugseinrichtungen des Landes Krankheitsbilder wie Arthrose, Arthritis, Herz-Kreislauf-Erkrankung, Bluthochdruck, Rheuma, Gicht, Demenz, Alzheimer, Parkinson, Krebs, Diabetes, Osteoporose, chronische Atemwegserkrankungen und Depressionen.

Neben den zunehmenden Zipperlein, die den Alltag im Alter immer nachhaltiger erschweren, hat der lebensältere Gefangene im Gegensatz zum 30- oder 40-jährigen Inhaftierten nicht mehr die Zukunftsperspektive und neigt viel eher zum Bilanzieren. Ein Mitsechziger, der eine lebenslängliche Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, kann sich ausrechnen, dass er im besten Fall nach 15 Jahren, also mit 80, in ein Altersheim entlassen wird. Die meisten betroffenen Insassen betrachten diese Perspektive nicht gerade als rosige, erstrebenswerte Aussicht. Die Frage, was soll ich eigentlich noch hier, ist auf den Abteilungen für Lebensältere immer wieder zu hören. Ohne eine dezidierte Tataufarbeitung und eine hinlänglich reduzierte Gefährlichkeit, können auch bei lebensälteren Straftätern keine vorzeitig bedingten Entlassungen vertreten werden. Dieses Ziel erfordert jedoch einen erhöhten Therapieaufwand. In der Therapie ist sodann legalprognostisch zu bedenken, dass ältere Gefangene aufgrund zunehmender kognitiver Einbußen oftmals zutiefst verfestigte Wahrnehmungs-, Interpretations- und Reaktionsmuster aufweisen, die in behandlerischen Settings eine extreme Rigidität und Behandlungsresistenz aufweisen. Therapiefortschritte sind oftmals eher geringfügig und die Gefangenen nähern sich nur langsam ihrem Vollzugsziel.

Einsichten der Lebensälteren verursachen zusätzlichen Betreuungsaufwand

Regelmäßig sind Lebensältere angesichts ihrer eingeschränkten Merk- und Lernfähigkeit über ihre Vergesslichkeit frustriert. Außerdem ist es nicht selten, dass sie im behandlerischen Prozess zu der Erkenntnis gelangen, dass sie mit ihren Eigenheiten und etwaigen Normabweichungen eine schwere Belastung für ihre Familie gewesen sind. Diese Erkenntnis löst nicht selten Selbstvorwürfe für ihr vergangenes Verhalten aus. Gerade die Bearbeitung der Deliktursachen und die Kenntnis der Deliktfolgen stürzt ältere Menschen oftmals in eine Sinnkrise. So sie sich dann auch noch darauf versteifen, dass sie in den kommenden Jahren kaum eine Möglichkeit finden werden, ihre Schuld abzutragen und Wiedergutmachung zu betreiben, tendieren sie generalisierend dazu, dass sie ihr bisheriges Leben abwerten und zu dem Ergebnis gelangen, dass alles keinen Sinn mehr habe.

Das alles muss immer vor dem Hintergrund der Angst der Gefangenen gesehen werden, noch vor der Entlassung unselbstständig oder gar pflegebedürftig zu werden. Auch die Beschäftigung mit dem Tod im Allgemeinen nimmt immer mehr Raum im Bewusstsein alternder Menschen ein und belastet die Psyche des Individuums. Die spirituell gefärbte Hoffnung auf Vergebung der Sünden geht damit einher.

Ohne eine aufgabengerechte Personalausstattung ist eine effektive Arbeit mit lebensälteren Inhaftierten nicht möglich

All diese Sorgen, Ängste und Nöte der Gefangenen finden in der theoretischen Festlegung des Personalbedarf keinen ausreichenden Niederschlag. Letztlich steht für die Betreuer auf diesen Abteilungen nicht mehr Zeit zur Verfügung, als für den putzmunteren 25-jährigen Gefangenen im Regelvollzug. Zumindest nach dem aktuellen Personalschlüssel hat der Psychologische Dienst oftmals nicht die Zeit, die Gefangenen in dieser Situation sachgerecht zu begleiten. Die zunehmende Entwicklung depressiver Symptomkomplexe mit gesteigerter Suizidalität ist nicht selten die Folge. Vieles gestaltet sich für lebensältere Gefangene schwerer als für den jüngeren Gefangenen, dem noch Dekaden in Freiheit bleiben werden, um das Ruder des Schicksals noch einmal herumzureißen. Lebensältere befinden sich zumeist am Ende ihres Weges und blicken zurück auf die Trümmer ihrer Vergangenheit.

Die alltäglichen Schmerzen in Gelenken und am Rücken, das Leben mit Schuld und die Aussicht, eventuell in die Pflegebedürftigkeit entlassen zu werden, nagen an ihnen ebenso, wie auch die gesellschaftliche Isolation. Schon in Altenheimen sind die Besuche der Verwandtschaft oftmals rar gesät. Der Opa hinter Gittern, bekommt jedoch nochmals deutlich weniger Besuch und gerät perspektivisch zunehmend in die Einsamkeit. Wenn der Gefangene wegen des Mordes an seiner Partnerin inhaftiert ist, hat sich oftmals die gesamte Familie distanziert und der Inhaftierte steht buchstäblich vor dem Nichts. Die Anzahl der Bilanzselbstmorde auf den Lebensälterenabteilungen weist eine steigende Tendenz auf. Häufig ist auch zu beobachten, dass Gefangene immer weniger gesund leben und auch verschriebene und dringend notwendige Medikamente nur unregelmäßig einnehmen. Solche Verhaltensweisen sind dann erste Anzeichen für fatalistische Einstellungen, denen mit Zuwendung und Empathie begegnet werden muss.

Die Kolleginnen und Kollegen der besonderen Fachdienste und des allgemeinen Vollzugsdienstes versuchen an dieser Stelle durch intensive Gespräche und einen gesteigerten Betreuungsaufwand den Bedürfnissen der Lebensälteren Rechnung zu tragen. Der hierdurch verursachte erhöhte zeitliche Mehraufwand wird durch das Personalmanagement bislang nahezu völlig ignoriert. Die Betreuung lebensälterer Gefangener ist aber zeitintensiver als die Betreuung jüngerer Gefangener.

Falls die Landesregierung an einer guten Betreuung von Lebensälteren und die Reduzierung von Bilanzsuiziden interessiert ist, dann ist es unumgänglich, die Personalschlüssel für die besonderen Fachdienste und den allgemeinen Vollzugsdienst nachhaltig zu verbessern. Eine Orientierung an den Standards für den Jugendvollzug wird seitens des BSBD als durchaus sachgerecht angesehen.

Dierk Brunn

Foto im Beitrag © pureshot / stock.adobe.com

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Von BSBD NRW

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