Nach einem wahren Verhandlungsmarathon haben die Regierungschefs der Euroländer den Haushalt für die kommenden sieben Jahre und den Unterstützungsfonds für extrem corona-geschädigte Staaten auf den Weg gebracht. Bleibt eigentlich nur eine Frage: Wer zahlt die Wohltaten?

Am Ende wird es wohl so sein, dass nicht die italienischen und spanischen Millionäre zur Kasse gebeten werden, sondern doch wohl eher die Kassiererin, die Pflegekraft und die Sicherheitskräfte – unter ihnen auch die Bediensteten des Strafvollzuges -, die eben noch als systemrelevant galten, jetzt aber zur Finanzierung der Unterstützungswohltaten unverzichtbar erscheinen.

Bereits im Vorfeld der Verhandlungen hatten sich Frankreich und Deutschland auf die Bereitstellung von nicht rückzahlbaren Unterstützungen für stark belastete Südeuropäer geeinigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel gab den vormals ehernen Grundsatz „Keine Gemeinschaftsschulden“ sehr schnell auf, weil ihr offenbar sofort einleuchtete, dass eine Einigung ohne deutsche Steuermilliarden kaum zu erreichen sein würde. Deshalb wurde bereits in den zurückliegenden Wochen dieses Faktum immer wieder betont und veröffentlicht, damit sich der deutsche Steuerzahler schon einmal an diese Position gewöhnen konnte.

Für Frankreich war diese Übereinkunft Gold wert, weil französische Banken sehr stark in Italien und Spanien engagiert sind. Die Unterstützungsleistungen werden die Südeuropäer in die Lage versetzten, auch künftig ihre Kredite bedienen zu können. Nachteile für französische Banken werden so vermieden. Für Deutschland bleibt die bekannte Position des allzeit bereiten Geldgebers.

Deutschland sieht sich in der Rolle des Zahlmeisters

Im Interesse der europäischen Einheit und des gemeinsamen Zusammenhalts glaubte die deutsche Politik nicht anders handeln zu können. Alle anderen europäischen Staaten waren hingegen auf ihren nationalen Vorteil bedacht. Bei den Verhandlungen erwiesen sich die sparsamen Länder Niederlande, Österreich, Dänemark, Schweden und Finnland als überaus durchsetzungsstark. Einerseits erreichten sie die Reduzierung der nicht rückzahlbaren Zuschüsse, andererseits setzten sie einen deutlichen Rabatt auf ihre eigenen Zahlungsverpflichtungen zum EU-Haushalt durch.

Als es darum ging, die finanziellen Leistungen der Europäischen Union an die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit zu binden, gelang allerdings nur ein butterweicher Formelkompromiss, der den stärker autokratisch ausgerichteten Staaten viele Optionen lässt. Die polnische und ungarische Presse jubelte denn auch, die Koppelung der EU-Finanzleistungen an die Rechtsstaatlichkeit sei gestrichen worden. Die Kommission ist insoweit beauftragt worden, ein Konzept vorzulegen, wie ein „Regime an Konditionen für den Schutz des Budgets“ aussehen könnte. Der EU-Rat soll zudem Maßnahmen bei einem Bruch der Regeln mit qualifizierter Mehrheit beschließen können. Faktisch wurde ein Problem damit weit in die Zukunft verschoben, um Haushalt und Corona-Hilfe nicht zu gefährden. Immerhin hätte das Veto nur eines Landes das gesamte Verhandlungsergebnis kippen können. Dieses Risiko wollte man offenbar nicht eingehen.

Das Einstimmigkeitsprinzip kommt an sein Ende

Der EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre umfasst mehr als eine Billion Euro. Das Konjunktur- und Investitionsprogramm aus Anlass der Corona-Pandemie beläuft sich auf 750 Milliarden Euro, davon 390 Milliarden Euro als Zuschüsse und 360 Milliarden Euro als Kredite. Die Verteilung soll sich danach richten, wie stark die Wirtschaft in den Jahren 2020 und 2021 einbricht. Die Zahlungen für 2023 sollen im Jahr 2022 nochmals überprüft werden.

Auch in dieser Verhandlungsrunde hat sich einmal mehr erwiesen, dass das Einstimmigkeitsprinzip ein arger Konstruktionsfehler der Gemeinschaft ist. Jedes Land – und sei es noch so klein – wird damit faktisch in die Lage versetzt, seine Partikularinteressen mit größtmöglicher Aussicht auf Erfolg vertreten zu können. Gemeinhin heißt es ja, dass derjenige, der die Musik bezahlt, auch bestimmt, was gespielt wird. Auf EU-Ebene ist dies jedoch völlig anders. Vom größten Nettozahler Deutschland wird Rücksichtnahme und Zahlungsbereitschaft verlangt, weil sonst gar kein Kompromiss erzielbar ist. Nicht umsonst haben sich Gipfelteilnehmer wechselseitig des Hasses und der Erpressung bezichtigt. Solche Meinungsgegensätze sind immer noch für eines gut, man lässt sie ich einfach abkaufen.

Deutschland trägt einmal mehr die finanzielle Hauptlast

Erstaunlich ist, dass der gefundene Kompromiss auch von deutschen Medien als Erfolg kommuniziert wird. Dabei ist der deutsche Steuerzahler einmal mehr der Dumme. Er hat die finanzielle Hauptlast zu tragen. Der deutsche Steuerzahler gehört zu den ärmeren Europäern. Italiener und Spanier, die jetzt stark profitieren, sind wesentlich reicher als Deutsche. Zudem gibt es in Europa viele Milliardäre und Millionäre, auch in Italien und Spanien. Alle werden sich nicht stärker finanziell beteiligen müssen, nur die deutsche Mittelschicht, die bereits die höchste Abgaben- und Steuerlast zu tragen hat, wird es einmal mehr richten müssen.

Eine Organisation, in der jeder jeden blockieren kann, ist über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt. Ein Vetorecht ließ sich bei fünf oder sechs Staaten, die zudem noch homogen waren, einigermaßen handhaben. Bei 27 Staaten ist ein solches Verfahren nicht mehr praktikabel.

Der Kompromiss ist eine schwere Hypothek für die Gewerkschaftsarbeit

Für unsere gewerkschaftliche Arbeit ist das in Brüssel erzielte Ergebnis eine sehr schlechte Botschaft, weil man natürlich auch in Deutschland den Euro nur einmal ausgeben kann. In Brüssel hat sich Deutschland von seiner großzügigen Seite gezeigt und Geldgeschenke in den Süden Europas transferiert. Und weil sich wieder einmal die nationalen Interessen durchgesetzt haben, werden künftige Verhandlungen nicht leichter werden. Erst wenn Deutschland einmal sagen würde, dass nicht jeder Konflikt mit Geld aus Deutschland gelöst werden kann, würde vermutlich ein Umdenken einsetzen.

Wer sich auf europäischer Ebene so generös zeigt, sollte jetzt nicht den Fehler begehen, in den kommenden Monaten gerade den Rotstift bei jenen Berufsgruppen anzusetzen, die vor wenigen Wochen noch als systemrelevant galten und denen man auch finanzielle Wertschätzung zugesichert hat. Hierzu zählen auch wir Strafvollzugsbedienstete. Wir erwarten deshalb vernünftige und verbesserte Arbeitsbedingungen, die zeitnahe Besetzung der freien Stellen und eine angemessene finanzielle Anerkennung über den Status quo hinaus.

Friedhelm Sanker

Foto: bluedesign/stock.adobe.com

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Von BSBD NRW

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