Anfang Oktober 2022 haben die Tarifkommissionen von DBB und Verdi sich auf eine gemeinsame Forderung für die Kolleginnen und Kollegen von Bund und Kommunen geeinigt, mit der sie in die nächste Tarifrunde gehen wollen. Mit 10,5 Prozent, mindestens 500 Euro, mehr Einkommen sollen weitere Reallohnverluste verhindert werden.

Die Gewerkschaften erwarten „hammerharte Verhandlungen“, wie DBB-Chef Ulrich Silberbach vor Medienvertretern prognostizierte. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes stehen vor einer historischen Herausforderung.

Der fortwährende Krisenmodus, der die Arbeit des öffentlichen Dienstes nun schon lange Zeit lähmt, die Reallohnverluste der zurückliegenden Jahre und eine galoppierende Inflation sorgen für eine Stimmung in Behörden und Einrichtungen, die bislang unbekannt war. Veraltete Ausstattung, steigende Arbeitsbelastung sind Alarmzeichen und drücken auf die Motivation. Deshalb sind die Tarifverhandlungen für Bund und Kommunen auch richtungweisend für die im weiteren Verlauf des kommenden Jahres anstehende Tarifrunde für die Beschäftigten der Bundesländer.

Politik warnt vor einer Lohn-Preis-Spirale

In der öffentlichen Diskussion hat die Forderung der Gewerkschaften unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Während abhängig Beschäftigte Sympathie hegen, sind Unternehmer und öffentliche Arbeitgeber mit weitreichender Kritik zur Stelle. Sie wähnen, die Forderung sei völlig aus der Zeit gefallen, weil die Gesellschaft jetzt zusammenstehen müsse, um die Vielzahl an Krisen einigermaßen unbeschadet zu überstehen.

Als Gewerkschafter kann man da nur mit Goethe sagen: „Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt!“ Es ist zwar verständlich, dass die Regierung das Entstehen einer Lohn-Preis-Spirale verhindern möchte. Leider unternimmt sie selbst nur wenig, um einer solchen Entwicklung entgegenzusteuern.

Gasspeicher sind voll, aber zu welchen Kosten?

Treiber der Inflation sind die enorm hohen Energiekosten. Hieran hat – unabhängig vom Ukraine-Krieg – die Regierung einen beachtlichen Anteil. Sie hat Gas zu fast jedem Preis aufgekauft, um die leeren Gasspeicher zu füllen. Dieses Ziel wurde erreicht, doch die Kosten sind völlig aus dem Ruder gelaufen.

Professionelle Händler beklagen, dass die von der Bundesregierung mit der Beschaffung beauftragte Trading Hub Europe (THE) Gas zu sehr hohen Spotmarkt-Preisen ohne die sonst üblichen Absicherungsgeschäfte tätigte. Deshalb lagert jetzt Gas zum Kaufpreis von 160 bis 180 Euro pro Megawattstunde in den Speichern, das gegenwärtig am Terminmarkt höchstens einen Wert von 120 bis 130 Euro hat. Einen Teil der Füllmenge hätte man auch erst Ende November zu deutlich niedrigeren Preisen einkaufen können, wie es unsere europäischen Nachbarn getan haben. Mit dieser Strategie ist ein Verlust im einstelligen Milliardenbereich zu Lasten des Steuerzahlers eingetreten. Diese „Großzügigkeit der Bundesregierung“ sollten Gewerkschafter im Hinterkopf behalten, wenn es im Frühjahr und Herbst 2023 in die Tarifrunden für den öffentlichen Dienst geht. Wir wollen doch mal sehen, ob das Geld dann immer noch so locker sitzt?

Aktuelle Tarifabschlüsse in der Wirtschaft

Um zu erkennen, was in dieser Zeit in Bereichen mit hohem Streikpotential möglich ist, haben wir zwei Abschlüsse herausgegriffen. Zum einen die Eisen- und Stahlindustrie und zum anderen die aktuelle Vereinbarung in der Metall- und Elektroindustrie. Wenn wir uns im öffentlichen Dienst mit diesen Teilen der Privatwirtschaft vergleichen, dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass beim Bund 365.000 Beamte, Richter und Soldaten tätig sind, die für Arbeitskampfmaßnahmen nicht zur Verfügung stehen. Bei den Bundesländern sind derzeit rund 4,97 Millionen Personen beschäftigt. In dieser Zahl sind 1,89 Millionen Beamte enthalten, die ebenfalls keine Arbeitskampfmaßnahmen zur Durchsetzung ihrer Interessen nutzen können.

In der Eisen- und Stahlindustrie wurde 2021 ein Abschluss von 6,5 Prozent und eine Einmalzahlung in Höhe von 500 Euro bei einer Laufzeit von achtzehn Monaten erzielt. Um das Ergebnis zu erreichen, waren umfangreiche Warnstreiks der Beschäftigten erforderlich. Dieser Abschluss war angesichts der seinerzeit noch geringeren Inflation recht akzeptabel.

Vor wenigen Tagen ist ein Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie erreicht worden. Die Tarifpartner einigten sich auf eine Gehaltserhöhung von 8,5 Prozent, 5.2 Prozent im Juni 2023 und weitere 3,3 Prozent im Mai 2024. Zusätzlich erhalten die Beschäftigten zu Beginn der Jahre 2023 und 2024 je eine Inflationsausgleichprämie von 1.500 Euro, die steuer- und abgabenfrei ausgezahlt wird. Die Laufzeit des Vertrages beträgt 24 Monate. Diesem Vertrag sind die Tarifvertragsparteien auch für die Beschäftigten der Volkswagen AG beigetreten.

Ohne glaubwürdige Drohung kein vernünftiger Abschluss

Der Tarifabschluss kam erst zustande, nachdem die Gewerkschaft nach umfangreichen Warnstreiks mit Urabstimmung und unbefristetem Streik drohte. Diese Drohkulisse reichte, um die Arbeitgeberseite in schwieriger Zeit zum Einlenken zu bewegen.

Anhand dieser Beispiele lässt sich erkennen, dass wir im kommenden Jahr alles werden aufbieten müssen, was uns an Streik- und Demonstrationspotential zur Verfügung steht. Bringen wir die Kolleginnen und Kollegen nicht dazu, für ihre ureigenen Interessen auf der Straße einzutreten, dann werden wir den erforderlichen Einigungsdruck auf die öffentlichen Arbeitgeber nicht aufbauen können. Was das für das Tarifergebnis bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen.

Jede Kollegin und jeder Kollege sind gefordert

Die Entscheidung über einen Tarifabschluss fällt nicht allein am Verhandlungstisch. Obwohl Schlafentzug und Mammutsitzungen eine gewisse Rolle spielen, sind sie letztlich auch nicht ausschlaggebend. Die Überzeugung der Arbeitgeberseite, kein besseres Ergebnis erreichen zu können, ist meist ausschlaggebend für eine finale Vereinbarung.

Damit diese Überzeugung bei den öffentlichen Arbeitgebern möglichst zügig herbeigeführt wird, dafür sind Warnstreiks und Demonstrationen die richtigen Mittel. Wir müssen in dieser historischen Tarifauseinandersetzung überzeugend klarmachen, dass unterhalb eines Inflationsausgleichs kein Abschluss zu haben sein wird. Auch Strafvollzugsbedienstete werden die aktuell krisenhafte Zeit und den enormen Anstieg der Inflation kräftig durchgeschüttelt.

Wir hoffen deshalb auf eine großartige Beteiligung, wenn der Einsatz und die Unterstützung jeder einzelnen Kollegin und jedes einzelnen Kollegen gefordert sind.

Höhe der Forderung stößt auch auf Kritik

Für Medienvertreter ist die 10,5 Prozent-Forderung von DBB und ver.di vielfach erklärungsbedürftig, weil doch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gerade die „Konzertierte Aktion“ neu belebt hat, um auf Arbeitgeber und Gewerkschaften mäßigend einzuwirken. Das Entstehen einer Lohn-Preis-Spirale ist nämlich gegenwärtig das Letzte, was die Politik gebrauchen kann. Deshalb hat die Bundesregierung die Möglichkeit geschaffen, dass den Beschäftigten ein Inflationsausgleich von 3000 Euro steuer- und abgabenfrei gezahlt werden. Damit verfolgte der Kanzler das Ziel, Arbeitgeber und Gewerkschaften zu möglichst moderaten Tarifabschlüssen zu veranlassen.

Gegenüber dem Handelsblatt hat DBB-Chef Ulrich Silberbach darauf hingewiesen, dass im öffentlichen Dienst nicht nur Staatssekretäre beschäftigt seien, sondern der überwiegende Teil der Beschäftigten lediglich 2.500 beziehungsweise 2.600 Euro im Monat nach Hause brächten. Hier gelte es das Abstandsgebot zu beachten. Durch das erhöhte Bürgergeld werde künftig permanent Druck auf die unteren Einkommensebenen des öffentlichen Dienstes ausgeübt. Da sei es einfach nicht darstellbar, die Kolleginnen und Kollegen mit einem Almosen abzuspeisen. Silberbach machte zudem darauf aufmerksam, dass die Politik in kurzer Zeit 500 Milliarden Euro für Corona-Hilfen, Bundeswehr, Entlastungspakete und Gaspreisbremse mobilisiert habe. Da seien 16 Milliarden für einen vernünftigen Tarifabschluss wohl auch noch zu stemmen.

Außergewöhnliche Forderungen erfordern außergewöhnliches Engagement

Wenn wir am Ende nicht mit einem großen Kaufkraftverlust dastehen wollen, müssen wir Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um unsere Ziele zu erreichen. Die mittlerweile auf 10,4 Prozent angewachsene Inflation wird ihren Zenit nach Einschätzung von Ökonomen wohl noch in diesem Jahr erreichen. Aber machen wir uns nicht vor: Der Kernbereich der Inflation, der sich aus hohen Energie- und Lebensmittelpreisen speist, wird hoch bleiben.

Bei der Tarifrunde für die Länder im kommenden Herbst ist deshalb jeder Einzelne von uns gefordert. Wer außerordentliche Forderungen stellt, der muss nämlich auch Außerordentliches in Bewegung setzen.

Obwohl für den Herbst noch gar keine Forderung verabschiedet worden ist, wird BSBD-Chef Ulrich Biermann immer mal wieder auf die Zehn-Prozent-Marke angesprochen. In den Gewerkschaftsgremien hat er sich dazu auch klar positioniert. Er bezeichnet die Lage, in der die kommende Tarifrunde stattfinden wird, als dramatisch. „Wenn wir unseren wirtschaftlichen Interessen Geltung verschaffen wollen, dann werden wir alles an Mobilisierungspotential in die Wagschale werfen müssen, was wir haben. Nur so können wir Druck aufbauen und unsere Verhandlungs- und Tarifkommission nachdrücklich unterstützen. Schließlich haben wir angesichts explodierender Preise nichts zu verschenken.“

Wie der Abschluss im kommenden Herbst ausfällt, liegt in unserer Hand

Wenn bei dieser Tarifrunde unser Druck ausbleibt, dann kann es geschehen, dass uns die öffentlichen Arbeitgeber über den Tisch ziehen. Es wäre einfach schade, wenn wir im Rückblick feststellen müssten, dass wir unsere Chancen und Möglichkeiten nur unzureichend genutzt haben, dass uns das Verweilen am häuslichen Kamin wichtiger war, als für unsere eigenen Interessen auf die Straße zu gehen.

Im Herbst 2023, so Ulrich Biermann, brauche es uns in Massen auf den Straßen. „Dann sind wir gefragt, unserer DBB-Verhandlungsgruppe massiv den Rücken zu stärken, sie anzutreiben, damit wir ein Tarifergebnis erzielen, dass uns entlastet und nicht unseren finanziellen Ruin einleitet. Und unsere Chancen sind vielleicht besser als wir glauben. Die Steuerschätzung hat schließlich ergeben, dass die Steuereinnahmen 2023 kräftig sprudeln werden. Mit einer Übergewinnsteuer ließen sich zusätzlich beträchtliche Mittel abschöpfen.

Immerhin ist der Strafvollzug eine unverzichtbare staatliche Aufgabe, wir sind systemrelevant. Wir dürfen durchaus mit Zuversicht in die Tarifverhandlungen gehen. Jeder von uns kann sich fast ein Jahr lang vorbereiten, um dann zur Stelle zu sein, wenn unsere Anwesenheit auf den Straßen der Republik benötigt wird. Wenn wir verhindern wollen, dass die Tarifverhandlungen für uns zu einem Fiasko werden, wenn wir verhindern wollen, dass wir einen erheblichen Kaufkraftverlust erleiden, dann müssen wir entschlossen handeln und unsere Interessen bestmöglich vertreten!“, rief BSBD-Chef Ulrich Biermann zu solidarischem Zusammenhalt auf.

Friedhelm Sanker

Grafik: DBB Bund

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Von BSBD NRW

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